Blog Krisen-PR: Wie viel Täuschung ist in der Krisenkommunikation erlaubt?

Interviews & Gastbeiträge
6min Lesezeit

von Katharina

Blog Beitrag

Ein Gastbeitrag von Julia Seidel Täuschung in der Krisenkommunikation – wenn PR einer Lüge gleicht.

„Wenn wir alles kommunizieren würden, was wir wüssten, würden wir unseren Job scheiße machen.“ Ein Satz, der hängen bleibt, ausgesprochen von einem PR-Verantwortlichen im Sportbereich. Ein Satz, der uns Kommunikator*innen mitten ins Herz trifft und gleichzeitig verdeutlicht, wie sehr die Branche zwischen Offenheit und Selbstschutz balanciert. Ein Satz, der nicht nur Ausgangspunkt einer Masterarbeit, sondern auch einen guten Einstieg in ein Thema bietet, das viele Unternehmen betrifft, aber kaum jemand offen diskutiert: Täuschung in der Krisenkommunikation.

Krise

Ein Kommunikations-Dilemma Was Krisenkommunikation eigentlich will

Wenn es „brennt“, muss Kommunikation schnell sein. Aber sie muss auch strategisch, durchdacht und möglichst fehlerfrei. In einer Krise steht viel auf dem Spiel: Vertrauen, Image, oft auch wirtschaftliche Existenzen von Unternehmen oder ganzen Branchen.

Krisenkommunikation im Speziellen soll helfen, den Schaden zu begrenzen. Transparente und ehrliche Reaktionen sind gefragt (Schreyögg 2004, S.14), um die Glaubwürdigkeit und Reputation eines Unternehmens nicht zu gefährden (Sandhu 2014, S. 1161).

Doch in der Praxis heißt das oft genug: Nicht alles sagen. Oder zumindest nicht sofort.

Und genau hier beginnt das Dilemma.

Denn PR und somit auch die Krisenkommunikation verfolgen nicht nur das Ziel, die Öffentlichkeit zu informieren, sondern auch, das Unternehmen zu schützen (Staffelbach, Feierabend und Arnold 2014, S. 106). Und genau da wird es knifflig. Denn wie entscheiden Kommunikationsverantwortliche, wann eine Information an die Öffentlichkeit darf und wann nicht? Was für Auswirkungen können Lügen und Täuschungen auf die Reputation eines Unternehmens haben? Und wann lohnt es sich daher direkt die Wahrheit zu sagen?

Dilemma

Ab wann ist was okay? Täuschung: Notlüge oder notwendige Taktik?

Täuschung klingt erst mal hart. Aber in der Unternehmenskommunikation ist sie nicht immer böse gemeint. Manchmal geht es schlicht darum, sensible Informationen zurückzuhalten, etwa aus Datenschutzgründen oder weil Fakten noch nicht final geklärt sind. Die PR-Forscherin Kerstin Thummes unterscheidet hier zwischen manipulativer und schützender Täuschung. Letztere kann sogar ethisch begründet sein. Denn niemand will, dass Entlassungen, Meinungen über Verstorbene oder private Informationen, die das Unternehmen kennt, an die große Glocke gehängt werden (Thummes 2013, S. 213).

Doch auch wenn die Intention gut ist: Kommunikation und insbesondere Krisenkommunikation bleibt ein Drahtseilakt. Denn was passiert, wenn eine Täuschung in einer brenzlichen Situation auffliegt?

Lüge

Wie unterschiedlich Zielgruppen Täuschung wahrnehmen

Genau hier setzte die empirische Forschung an: In einer experimentellen Studie wurden Menschen mit und ohne kommunikative Ausbildung (z. B. PR-Profis vs. Laien) mit unterschiedlichen Szenarien konfrontiert – manche enthielten Täuschung, andere nicht.

Die Erwartungen? Man ging davon aus, dass PR-Profis gelassener reagieren würden. Schließlich sollten sie die Mechanismen der Branche und die Mechanik der Täuschung bereits kennen.

Die Realität? Überraschend anders. Es zeigte sich: Auch Kommunikator*innen bewerten Täuschungen kritisch, teilweise sogar strenger als andere.

Der Glaube, dass Fachwissen immun gegen Vertrauensverlust macht, ließ sich daher nicht bestätigen.

Täuschungen in der Krisenkommunikation hatten einen signifikanten negativen Einfluss auf die abgefragte Reputation der Unternehmen. Wer also einmal lügt, verliert Vertrauen und damit auch die Glaubwürdigkeit. Wie sich das auf noch folgende Krisen auswirkt, mag man sich gar nicht ausmalen.

Zudem entzauberte sich ein anderer Mythos: Die Annahme, dass Aussagen in der Krisenkommunikation glaubwürdiger wirken, wenn sie von einer neutraleren, externen Person kommen, bewahrheitete sich nicht durchgehend.

Die Studie zeigt also: Vertrauen ist ein fragiles Gut und Täuschung bleibt ein immenses Risiko, ganz gleich, wer zuhört.

Reality Check

Warum Täuschung trotzdem eingesetzt wird

Kommunikator*innen stecken wie beschrieben in einem strukturellen Dilemma: Sie wollen und müssen einerseits transparent sein, andererseits dem Unternehmen dienen (Bentele und Seidenglanz 2015, S. 421). Zwischen diesen Polen spielt sich viel Grauzone ab. Hinzu kommt der Druck durch digitale Medien: Krisen verbreiten sich heute in Echtzeit. Unternehmen müssen reagieren, bevor alle Fakten auf dem Tisch liegen. Das erhöht die Versuchung, mit Nebelkerzen zu arbeiten – bewusst oder unbewusst (Dudenhausen und Wiencierz 2022).

So viel zur Theorie, aber was nutzt uns das in der Praxis?

Krisenkommunikation braucht klare Leitplanken, um nicht in die Täuschungsfalle zu geraten. Diese fünf handfesten Tipps helfen, das Vertrauen zu schützen:

  1. Klarheit vor Geschwindigkeit: Schnelligkeit ist wichtig, aber nicht auf Kosten der Wahrheit. Lieber eine Zwischenmeldung („Wir prüfen aktuell die Lage und melden uns, sobald wir gesicherte Informationen haben“) als voreilige, riskante Aussagen, welche Unwahrheiten enthalten.
  2. Mut zur Lücke: Wenn nicht alle Informationen vorliegen, klar kommunizieren, warum man etwas (noch) nicht sagen kann. Das nimmt den Druck raus und signalisiert Offenheit.
  3. Szenarien vorbereiten: Krisenhandbücher und vorbereitete Q&As helfen, in Stresssituationen nicht in Versuchung zu geraten, Lücken mit Täuschungen zu füllen.
  4. Frühzeitige Stakeholder-Analyse: Unterschiedliche Zielgruppen haben unterschiedliche Erwartungen. Wer vorher weiß, was Investorinnen, Medien oder Kundinnen kritisch hinterfragen könnten, kann gezielter und glaubwürdiger reagieren.
  5. Ethische Standards verankern: Teams sollten regelmäßig über Dilemmata sprechen („Was würden wir im Ernstfall kommunizieren?“). So lassen sich rote Linien definieren, bevor es brennt.

Kurz gesagt: Ehrlichkeit ist kein Ideal, sondern eine Überlebensstrategie. Wer Täuschung vermeidet und stattdessen auf Klarheit, Transparenz und Vorbereitung setzt, hat im Ernstfall die besseren Karten.

Praxis

Fazit: Ehrlichkeit gewinnt – langfristig

Täuschung kann kurzfristig wirken, aber sie ist ein Spiel mit dem Feuer. Die Studie zeigt: Zielgruppen – ob Expert*innen oder nicht – erkennen Täuschung oft schneller als gedacht. Und sie reagieren sensibel.

Deshalb gilt: Wer Krisen kommunikativ meistert, ohne zu lügen, ohne bewusst zu täuschen, baut langfristig Vertrauen auf. Das mag in der Hitze des Gefechts schwerfallen, zahlt sich aber doppelt aus: für das Image, für die Reputation und für den ethischen Kompass der Branche. Gerade in der digitalisierten Kommunikationswelt, mit Deepfakes, Shitstorms und extremen Erwartungshaltungen, wird ethisches Bewusstsein zur Schlüsselkompetenz. Wer nicht glaubwürdig handelt, verliert schnell jede Bühne.

Fazit

Über die Gastautorin: Julia Seidel

Julia Seidel studierte an der Universität Bremen die Kommunikations- und Medienwissenschaften und absolvierte ihren Master „Kommunikation & Management“ an der Hochschule Osnabrück. Im Rahmen ihrer Masterarbeit forschte sie zu folgender Fragestellung:„Ist das noch PR oder schon eine Lüge? Eine Analyse zur Wahrnehmung von Täuschungen durch RezipientInnen in der Krisenkommunikation von Unternehmen“. Aktuell arbeitet Julia als Kommunikationsmanagerin bei der Otto-Hermann GmbH.

Julia Seidel auf LinkedIn folgen.

JULIA IS ONLY SPEAKING FACTS

Bentele, G., & Seidenglanz, R. (2015). Vertrauen und Glaubwürdigkeit. In G. Bentele, R. Fröhlich, & P. Szyszka (Hrsg.), Handbuch der Public Relations. Wissenschaftliche Grundlagen und berufliches Handeln (S. 411-429). Springer VS.
Dudenhausen, A. & Wiencierz, C. (2022). Wertkonflikte bei der Anwendung von Big Data in der PR. Ethische Entscheidungsfindung von Kommunikator*innen am Beispiel von NGOs. In K. Thummes, A. Dudenhausen & U. Röttger (Hrsg.), Wert- und Interessenkonflikte in der strategischen Kommunikation. Kommunikationswissen-schaftliche Analysen zu Organisationen im Spannungsfeld zwischen Gemeinwohl und Partikularinteressen (S. 145 – 163). Springer VS.
Sandhu, S. (2014). Public Relations und gesellschaftliche Kommunikation: Legitima-tion im Diskurs. In A. Zerfaß, M. Piwinger & U. Röttger (Hrsg.), Handbuch Unterneh-menskommunikation. Strategie – Management –Wertschöpfung (S. 1161 – 1184). Springer Gabler.
Schreyögg, G. (2004). Krisenmanagement. Theoretische Grundlagen und praktische Maßnahmen. In M. Heintzen & L. Kruschwitz (Hrsg.), Unternehmen in der Krise. Ring-vorlesung der Fachbereiche Rechts- und Wirtschaftswissenschaft der Freien Univer-sität Berlin im Sommersemester 2003 (S. 13–36). Duncker & Humblot.
Staffelbach, B., Feierabend, A., & Arnold, A. (2014). Managementethik, moralisches Fehlverhalten und finanzielle Anreize. In U. Pekruhl, R. Spaar, & M. Zölch (Hrsg.), Hu-man Resource Management—Jahrbuch 2014 (S. 91–120). WEKA Business Media.
Thummes, K. (2013). Täuschung in der strategischen Kommunikation: Eine kommu-nikationswissenschaftliche Analyse. Springer VS

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